Bruderglück (FACTS 15/2002, 11.4.02)

Murat und Hakan Yakin: Glücklich vereint, erleben sie mit dem FC Basel die schönste Zeit ihrer Karriere und freuen sich auf die mögliche Meisterfeier.

Von Patrick Mäder

Die Nasenspitzen von Basel-Captain Murat Yakin und Schiedsrichter-Assistent Bruno Bachmann berühren sich beinahe. Die von Yakin ist mit Blut verklebt, die Folge eines Zweikampfs Minuten zuvor. Er schäumt vor Wut und redet heftig auf sein Gegenüber ein.

Ein paar Meter davon entfernt, reisst Murats Bruder mit dunklen, funkelnden Augen die Eckfahne aus der Halterung im Rasen. Hakan wurde soeben mit der roten Karte bestraft. Bevor er selber zu Boden gestossen wurde, soll er den Servette-Spieler Wilson Oruma ins Gesicht geschlagen haben – so sah es wenigstens der Schiedsrichter-Assistent. Hakan dagegen fühlt sich zu Unrecht bestraft und kann nur mit Mühe von Betreuern des FC Basel zurückgehalten werden. Dann verschwindet der Schweizer mit türkischen Wurzeln im Laufschritt aus der Arena des Sankt-Jakob-Parks. Murat eilt ihm Sekunden nach dem Schlusspfiff nach, ohne sich wie seine Kollegen von den Fans für den Sieg gegen Servette feiern zu lassen. Sein Bruder braucht ihn jetzt.

Szenen aus dem Spiel vom letzten Sonntag. Fast wie früher. Schon als Teenager übernahm der heute 28-jährige Murat die Rolle von Hakans Beschützer. Weil Mutter Emine nicht gut Deutsch sprach und der Vater die Familie früh verlassen hatte, war er es, der die Elternabende in der Schulklasse seines knapp drei Jahre jüngeren Bruders besuchte. «Damals habe ich darüber geflucht», sagt Murat, «heute weiss ich, dass diese Rolle für meine Entwicklung wichtig war. Ich musste früh lernen, Verantwortung zu übernehmen.»

Inzwischen ist Murat stolzer Captain des FC Basel. Präsident René C. Jäggi attestiert ihm «eine wichtige Führungsrolle und einen auffallenden Reifeprozess, seit er die Captain-Binde trägt». Als Abwehrchef führt Murat Regie und füttert seinen Bruder Hakan und die anderen Stürmer mit präzisen, langen Pässen. Und wenns sein muss, schiesst er auch Tore, wie beim 3:1-Auswärtssieg letzte Woche in Sankt Gallen, als er gleich zweimal ins Netz traf. Yakins Leistungen in den letzten Spielen verdienen das Prädikat Weltklasse. Auch dank ihm ist der FC Basel nach 22 Jahren des Wartens und Leidens nur noch einen winzigen Schritt vom Meistertitel entfernt.

Was diese Ausgangslage in Basel bewirkt, ist ausserordentlich. Die restlichen drei Heimspiele sind ausverkauft. Jeweils 33'433 Zuschauer werden erwartungsfroh für Stimmung sorgen. Die Basler stehen Kopf. Hakan beschreibt es so: «Ich werde von vielen Menschen angesprochen, denen ich in der Stadt begegne. Alle reden über den Meistertitel, dass wir es schaffen werden und dass wir Helden seien.» Murat ergänzt: «Sollten wir Meister werden, wird es hier ordentlich abgehen, dann gibt es in Basel eine zweite Fasnacht.»

Auch für die beiden Brüder würde sich mit dem Gewinn der Meisterschaft mit Basel etwas Grosses erfüllen. In Münchenstein sind sie aufgewachsen, einen Kilometer vom Joggeli-Stadion entfernt. Der Bolzplatz an der Christoph-Merian-Strasse war die Wiese ihrer Träume. «Hier spielte sich unser Leben ab. Jede freie Minute spielten wir Fussball», erinnert sich Murat. Hakan musste meist ins Tor stehen und die Hammerschüsse seines Bruders parieren. Und während der Spielchen schielten sie Richtung Joggeli und träumten von einer goldenen Zukunft auf dem grünen Rasen.

Ihre Vereinskarriere begannen die Brüder bei den Junioren von Concordia Basel. Zu Testzwecken durfte Murat dann mit dem FC Basel in ein Trainingslager reisen. Er war voller Zuversicht. Doch der damalige FCB-Trainer Friedel Rausch winkte ab. Das Urteil des Deutschen war vernichtend: keine Chance auf eine Profikarriere.

Murat war durchgefallen, doch sein Frust war nur von kurzer Dauer, denn Erich Vogel, der damalige Manager der Grasshoppers, hatte sein Talent erkannt. Mit 17 Jahren brach Murat in Basel die Lehre als Maschinenbauzeichner ab, verliess seine Geburtsstadt und folgte dem Ruf seines Entdeckers nach Zürich. Bei GC entwickelte sich Yakin zum Fussballstar. «Einen Spieler, der in diesem Alter schon so reif war, hatte ich noch nie gesehen», erinnert sich Erich Vogel. Auch den europäischen Spielerbeobachtern blieb dies damals nicht verborgen. Murat Yakin schaffte den internationalen Durchbruch.

Während Murat beim VfB Stuttgart, bei Fenerbahce Istanbul und beim 1. FC Kaiserslautern spielte, bahnte sich Hakan seinen Weg in der Schweiz. Im Gegensatz zum älteren Bruder schaffte er den Sprung von Concordia zum FC Basel. Doch sein Glück fand auch er dort nicht: «Die jungen Spieler hatten einen sehr schweren Stand. Ich trat an Ort, machte einfach keine Fortschritte.» So verliess auch Hakan nach zweieinhalb Jahren beim FCB die Stadt seiner Geburt, seine geliebte Mutter Emine, seine Halbschwester und seine fünf Halbbrüder und folgte den Spuren von Murat nach Zürich zu den Grasshoppers. Doch die Konkurrenz im Sturm war mit Türkyilmaz, Moldovan und Subiat zu gross. Nach einem halben Jahr machte er einen Abstecher zum FC Sankt Gallen, wo er sich einen Stammplatz erkämpfte und erwachsen wurde. «Ich musste auf und neben dem Platz plötzlich meinen Mann stehen. Ich musste lernen, es nicht einfach allen recht zu machen, sondern mich in gewissen Situationen zu exponieren.» Hakan trat damals zum ersten Mal aus dem Schatten seines grossen Bruders. Doch die beiden träumten weiter von gemeinsamen Zeiten, so wie damals auf dem Bolzplatz in Münchenstein.

In Deutschland und in der Türkei litt Murat sehr unter der fehlenden Geborgenheit seiner Familie. Er erfüllte keinen seiner Verträge, es gab überall Ärger. In Stuttgart überwarf er sich mit dem bulgarischen Star Krassimir Balakov, die Türkei verliess er in einer Nacht-und-Nebelaktion, weil er keine Harmonie fand, und in Kaiserslautern stempelte man ihn nach einem Streit mit Trainer Brehme zum Fussballinvaliden. Trotz seiner unbestrittenen fussballerischen Klasse fand er im Ausland nie die Anerkennung, die er gesucht hatte.

Angeschlagen kehrte Murat Ende März 2001 in die Schweiz zurück. In seine Stadt, zu seinem FCB, zu seiner Mutter und zu seinem Bruder Hakan. Endlich waren sie wieder zusammen. Ermöglicht hat das Zusammenfinden ein alter Bekannter: Erich Vogel. Der heutige Manager des FC Zürich war damals von Trainer Christian Gross zum FCB geholt worden. Präsident Jäggi sagt rückblickend: «Die Transfers der Yakins nach Basel waren auch für unsere Fans ein wichtiges Zeichen: zwei Basler, die dem FCB zum Aufbruch verhelfen sollten.»

Yakin & Yakin: Das Bruder-Duo ist aus der aktuellen, so erfolgreichen FCB-Mannschaft nicht mehr wegzudenken. Genauso wenig wie aus der Schweizer Nationalmannschaft. In der Nähe von Mutter Emine finden sie die Geborgenheit, die sie suchen. Von den Fans im Basler Sankt-Jakob-Park bekommen sie die Anerkennung, die sie brauchen. «Es ist uns bewusst, dass wir momentan wahrscheinlich die schönste Zeit unserer Karriere erleben. Es passt einfach alles. Und ich wüsste nicht, was mir fehlen sollte», schwärmt Murat. An einen erneuten Wechsel ins Ausland will er trotz seiner hervorragenden Leistungen und des brüderlichen Lobs, «Murat würde sogar Real Madrid gut anstehen», gar nicht denken. Er kann sich sogar vorstellen, nach seiner Aktivzeit eine Aufgabe beim FCB zu übernehmen. Seinem Bruder hingegen würde er einen Wechsel ins Ausland empfehlen und zutrauen. Hakan sieht den Rat von Murat mit gemischten Gefühlen: «Ich will im Moment nicht an eine erneute Trennung denken, lieber an den Moment unseres gemeinsamen Meisterjubels. Das wird ein wunderschöner Tag.»

   
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