Mit dem Rücken zur Schweiz (FACTS 01/2002, 3.1.02)

Basel und die Schweiz, das ist vor allem Vernunft, weniger Liebe. Die Basler fühlen sich unverstanden und als Minderheit zurückgesetzt.

Von Jost Auf der Maur, Mitarbeit: Peter Blunschi, Tobias Bossard, Lukas Hässig, Bettina Mutter, Stephanie Riedi

Soll Basel die Schweiz verlassen? Muss der noble Stadtstaat nach fünfhundert Jahren Eidgenossenschaft die Leinen kappen und in die europäische Gemeinschaft einkehren? «500 Jahre sind genug», schreiben im Dezember 2001 verärgerte Basler Leserbriefautoren. Die «Basler Zeitung» setzt in der Ausgabe vom 29. Dezember den Titel: «Rumoren über möglichen Austritt Basels aus der Schweiz» und erinnert an die Wirren der 1830er Jahre, als in den Teilen der radikal-liberalen Eidgenossenschaft davon die Rede war, Basel aus dem Bund zu werfen, «das widerspenstige Glied abzuschneiden». Heute fühlt sich Basel von der übrigen Schweiz nicht nur nicht verstanden – daran hat sich der Beppi längst und im Stil eines echten Exoten nicht einmal ungern gewöhnt –, Basel «fühlt sich verschaukelt», wie die NZZ die Reaktionen auf den Crossair-Handel zusammenfasst.

Wirtschaftlich geht es der drittgrössten Schweizer Stadt – Genf hat Basel kürzlich überrundet – hervorragend, das Volkseinkommen ist das höchste, das Wirtschaftswachstum erreicht international Spitzenwerte, die Chemie generiert zuverlässig schöne Steuereinnahmen. Kulturell hat sich Basel dank seiner Mäzene längst die Aura einer Diva gesichert. Und auf dem holperigen, gleichwohl aber heiligen Rasen des Fussballstadions Sankt-Jakob-Park gedeiht nach 20 Jahren Vergeblichkeit endlich und ungestüm Hoffnung auf einen Pokal. Warum sind die Basler mitten in diesem Wohlergehen so stark irritiert, dass sie hingehen, um in einer spontanen Manifestation Unterschriften abzugeben für einen Wirtschaftsführer wie Moritz Suter, obschon doch Basel wie keine andere Stadt hochpotente Konzerne beherbergt und die Baslerinnen darum ganz genau wissen, dass politische Demokratie und Stimmrechte eines Aktionariats grundsätzlich verschiedenen Gesetzmässigkeiten folgen?

Es hat in der Tat niemand in der Schweiz wirklich verstanden, warum die Basler vor der Neubestellung des Crossair-Verwaltungsrats mit so grossem Ernst eine derartige Solidaritätsbezeugung durchführten. Im Monopolblatt «Basler Zeitung» war der offiziöse Erklärungsversuch zu lesen: «Verteidigt wird in Basel mit Nachdruck ein Bild und eine Zukunft auch unserer Schweiz, in der die regionale Vielfalt nicht dem wirtschaftlichen Zentralismus einer angeblichen Metropole geopfert werden darf.» Das tönt zwar trotzig und darum irgendwie sympathisch. Aber bezogen auf Wirtschaftsfragen nimmt sich das so aus, als müsste die Schweizer Wirtschaft künftig im Stil der Käseunion organisiert werden. Das kann nur in einem Gemeinwesen gefordert werden, dem vor schierem Wohlergehen die Welt ein bisschen fremd geworden ist. Das herrschende Wirtschaftssystem ist nicht auf Ballenberg erfunden worden.

Rote Plastikherzen: In der Sporthalle bei Sankt Jakob hatten sich am Samichlaustag 2500 Menschen zur ausserordentlichen Generalversammlung der Crossair eingefunden. Überall blinkten diese roten Plastikherzen, Zeichen der Verbundenheit mit Moritz Suter. Zwischenapplaus für Redner, die Suter lobten. Sprechchöre und Hasstiraden gegen den «Zürcher Filz».

Dass die Crossair in den Neunzigerjahren überlebt hat, weil sie sich unter die Fittiche der Swissair hatte flüchten können, spielte keine Rolle. Die Stimmung im Saal war heiss, und als sich die Zürcher Besitzverhältnisse durchsetzten, marschiert das Gros der Aktionäre demonstrativ ab. So wie früher die Fussballzuschauer auf dem Joggeli, wenn sie nach schwachem Spiel das Stadion noch vor dem Abpfiff verliessen. Heute bleiben sie, denn die meisten kommen ja nicht des Spiels wegen, sondern – wie der Basler Starkolumnist vermutet – wegen des gemeinsamen Verzehrs von Wurst und Bier im neuen Stadion.

In dieser eigenartigen und angeheizten Atmosphäre nach jener Generalversammlung sekretierte ein gemeinsamer, gleichsam übergeordneter Basler Geist den bizarren Wunsch, die 60 000 für Moritz geleisteten Unterschriften seien in einer Skulptur unterzubringen und als Mahnmal in der Stadt aufzustellen. Ob das Mahnmal neben dem Denkmal für die Gefallenen bei Sankt Jakob an der Birs installiert wird? Es hätte jedenfalls dasselbe Potenzial wie die Fasnacht: geeignet, allen Auswärtigen klarzumachen, wie viel sie von Basel noch immer nicht verstanden haben und auch niemals verstehen werden. Die Verletztheit Basels muss tief sein: Die Basler mit ihrem sicheren Gespür für guten und eben auch schlechten Geschmack wären sonst längst übereingekommen, die Skulptur-Idee leise sterben zu lassen. So bleibt die Frage: Welcher Nerv ist entzündet am Rheinknie? Warum dieser kollektive Aufschrei?

Basel hat sich im Gegensatz zu anderen Städten dem dynamischen Wirtschafts-Zürich nie unterworfen. Aber Basel, einst die reichste und wichtigste Stadt der Eidgenossenschaft, hat einen langen Weg hinter sich, der zwar auf undramatischem, aber kontinuierlichem Gefälle weg von der Leaderposition geführt hat. Zürich ist heute das dominierende Zentrum, in Zürich wird der grösste Teil der künftigen Eliten universitär ausgebildet, in Zürich werden die Meinungen gemacht, nicht zuletzt durch die Medien. Basel, einst als Medienstadt lanciert, hat nur noch eine politische Tageszeitung, die «Basler Zeitung». Der Filz, wie er in jeder Stadtgesellschaft gedeiht, ist unbeschreibbar geworden – weil die Schreiber auch dazugehören wollen. So versagt die Klimareinigung im Treibhaus Basel. Vielleicht ist auch das ein Indiz für die Gereiztheit bei Kritik von aussen.

Bis vor 18 Jahren stand auf dem Aeschenplatz, einem Verkehrsknoten mitten in Basel, ein Strassenwegweiser, der nach Süden zeigte. Und darauf stand geschrieben: Schweiz. Als ob es die vaterländische Parole «hie Basel, hie Schweizerboden» nie gegeben hätte. Der Basler Historiker Rudolf Wackernagel hats gewusst: «Basel hat Mund und Augen rheinabwärts gewendet, den Rücken zur Schweiz.» Als die Basler vor einem halben Jahrtausend den Eidgenossen ewige Treue schworen, taten sie es aus Verdruss über den ansässigen Adel, sie taten es aus sicherheitspolitischen Überlegungen und unter dem Eindruck der Schwabenkriege – und die Eidgenossen hatten erkannt, dass mit Basel ein Bundesgenosse beitrat, der sich auf dem Parkett der Diplomatie und der Verhandlungskunst bewegen konnte. Der Anschluss war eine Vernunftehe, keine Liebesheirat.

«In der einmütigen Abscheu der Basler vor der Schroffheit und Kompromisslosigkeit der Eidgenossen lässt sich eine grundsätzliche Wesensverschiedenheit erkennen», stellte der Chronist Hermann Offenburg fest. Daran hat sich nichts geändert. Die Basler sind nicht besser, sie sind anders. Oder wie die jüngste Basel-Werbung behauptet: «Basel tickt anders». Das ist keine momentane Aufwallung, sondern gewachsene Eigenart.

Mit dem Beitritt zur Schweiz handelte sich Basel einen nachhaltigen kulturellen Verlust ein: Es benahm sich selber seiner mentalen und kulturellen Heimat, die rheinabwärts, die nördlich der Stadt liegt. Und politisch blieb es mit der Zugehörigkeit zur Schweiz in einer Randposition, halb selbst gewählt, halb zugewiesen. Dabei hätte Basel das Zeug dazu gehabt, Hauptstadt eines Staates zu sein, bestehend aus Südwestdeutschland, dem Burgund und der Eidgenossenschaft, meinte der wohlmeinende deutsche Politpublizist Otto Flake. Das Gegenteil ist Wirklichkeit: Eine Insel entstand, deren Konturen spätestens mit dem Abfall der gebeutelten Halbbrüder von Baselland eindeutig und klar wurden. Auf der 37 Quadratkilometer grossen Insel Basel wird eine eigene Sprache geredet, eine eigene Industrie ist entstanden, und es etablierte sich eine eigene Kultur, die sich selbst auf der Strasse manifestiert, während der Fasnacht. Sie «wird gerne als uralte Tradition dargestellt», steht im Basler Fasnachtsgeschichtsbuch «Zwischentöne» Aber: «In ihrer heutigen Ausprägung besteht die Basler Fasnacht dennoch erst etwa seit den 1920er Jahren.» Das hören die Basler nicht gerne, denn es schmälert das Gefühl kultureller Überlegenheit. Darum lieben sie wiederum den Stiftzahnkiller Läckerli, da dieses Gebäck zur Erbauung des Klerus während des 18 Jahre dauernden Konzils von Basel bereits im 15. Jahrhundert erfunden wurde.

Der Reflex der Basler gegen Zürich ist ein Antagonismus ohne lange Geschichte: Während der Reformation waren Basel und Zürich noch Schwesterstädte. Zwingli hat in Basel studiert, an der ältesten Uni der Schweiz. Die erste Enttäuschung bereitete den Baslern erst der Zürcher Bahnpionier Alfred von Escher, der die Bahnlinie von Mannheim und Freiburg im Breisgau an Basel vorbeizuleiten versuchte. Die Basler konnten sich im letzten Moment mit dem Grossherzog von Baden darauf einigen, dass die Eisenbahn wenigstens das Kleinbasel tangierte. «Escher war für die Basler der erste hässliche Zürcher», sagt Historiker Markus Kutter. Für die Basler wiederholt sich mit dem Crossair-Handel eine Ehrabschneidung erneut im Verkehrsbereich: Mit der gesunden Basler Balair und der maroden Zürcher Adastra war einst die Swissair gezeugt worden. Gegenüber der Crossair hat sich erneut das Zürcher Finanzestablishment durchgesetzt.

Basel, die unverstandene Schöne am Rheinknie, hat darum wieder die Nase voll von der Restschweiz, namentlich von den Zürchern. Ausgerechnet Zürich, diese nouveau-riche Bänkler-Zentrale, europäische Metropole der Schwulen und der Kokser, wo alle jedem neuen Trend nachrennen, um ihn morgen schon vergessen zu haben, ausgerechnet dieses Zürich will Basel – angeblich – in Wort und Tat wegnehmen, was lebenswichtig scheint für die kleine Weltstadt am Rhein. Dabei sind die vier populärsten heiligen Kühe Basels, nämlich die Fasnacht, der «Zolli», die Basler Messe und der Fussballclub Basel, ihrem Wesen nach gar nicht angreifbar. Allein schon weil keiner der Miteidgenossen sich auch nur die Mühe macht, deren Wesen zu begreifen.

Auf atemberaubend wenig Platz, auf 37 Quadratkilometern, findet sich in Basel eine Dichte an Qualität in Kunst und Forschung, an Wissen und Kostbarkeiten, wie das keine Schweizer Stadt in dieser Konzentration vorweisen kann. Nur wollen sich die Basler darauf jeweils nicht besinnen, wenn ihnen die Restschweiz das Gefühl gibt, unverstandene Inselkinder zu sein.

Unabdingbar wichtig bleibt für Basel, dass die Chemie der Stadt die Treue hält. Längst aber sitzt keiner der Fabrikherren mehr in politischen Gremien, in den Chefetagen wird nicht mehr Baseldeutsch, sondern Englisch gesprochen, ja die meisten Kader haben ihren Wohnsitz ausserhalb gewählt. Wie etwa Novartis-Führer Daniel Vasella, der in Risch ZG eine festungsartige Villa bezogen und dort mit Hilfe einer Luzerner Kunstgalerie «junge Chinesen» an die Wände gehängt hat. Indizien einer Entfremdung, deren feine Witterung in Basel sofort aufgenommen wird. Risch ist Synonym für ein Desinteresse an Basel, die «jungen Chinesen» verraten ein möglicherweise allzu plötzliches Kunstbewusstsein. Beides zusammen wirkt auf feinsinnige Basler beunruhigend angesichts der ungemütlichen Frage, ob die Konzernzentralen der Chemie in Basel bleiben.

Die Basler Regierung jedenfalls denkt nicht an einen Austritt aus der Eidgenossenschaft. Im Gegenteil: Dieser Tage hat die Regierung freundliche Post versandt. Sämtliche National- und Ständeräte der ehemaligen Schwesterstadt Zürich und ihrer Umlande sind eingeladen worden. Wozu? Selbstredend zum Morgestraich, 18. Februar, 04.00 Uhr.

   
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